Wiener Presse

Zeitschriften und Tageszeitungen wie auch Kunst- und Musikzeitschriften erwähnen und dokumentieren Aufführungen Brahms’scher Werke, anhand derer sich Erstaufführungen, Aufführungsdaten und -orte sowie Mitwirkende zurückverfolgen lassen. Umfangreiche Werkbesprechungen und Kritiken bieten zudem eine aufschlussreiche Informationsquelle, um Aufführungsprofile und die Werkrezeption durch die Zeitgenossen zu skizzieren. Auch bislang unbekannte biographische Einzelheiten zu Brahms’ Leben und (Nach-)Wirken kommen in Zeitungsmitteilungen zum Vorschein.

Doch dienten oft feuilletonistische, „unter dem Strich“ publizierte Konzert- und Werkbesprechungen nicht nur der Berichterstattung und der Mitteilung (musik-)ästhetischer Urteile. Der Brahms-Biograph Max Kalbeck bemerkte 1913, dass bereits in den 1880er Jahren Musik mit Politik vermengt worden sei. Der sozio-politische Kontext im Wien des späteren 19. Jahrhunderts war durch Spannungen zwischen verschiedenen Gruppen sowie durch tiefgreifende soziale Umwälzungen gekennzeichnet: Liberale, Sozialdemokraten, Christlich-soziale, Katholisch-konservative und diverse Deutsch-nationale Zirkel rangen um die Vorherrschaft. Alle diese Gruppen hatten ihre Sprachrohre und direkten oder indirekten Repräsentanten in der Presse. Je intensiver die Kontroversen und Fraktionierung wurden, desto rhetorisch aufgeladener erschienen die Besprechungen und Kritiken in der Presse. In etlichen Rezensionen aus dieser Zeit und aus den unterschiedlichsten Zeitungen finden sich explizit oder durch Metaphern artikulierte sozio-politische Anschauungen ausgedrückt.

Es existierten Dutzende relevanter Blätter aus der Wiener Presselandschaft. In jüngerer Zeit rückte diese Fülle von Quellen in den Fokus von Forschenden, und zwar unter dem Blickwinkel der Politisierung innerhalb der Wiener Musikkritik, der starken Polarisierung und der Instrumentalisierung bestimmter Komponisten (vor allem Anton Bruckner, Richard Wagner und Johannes Brahms als wichtiger Künstlerpersönlichkeiten der Zeit) zum Zweck der Parteibildung (siehe die Unterseite „Literatur“). Finden sich zu einer Veranstaltung mehrere Kritiken, ist es oft erstaunlich, wie unterschiedlich die einzelnen Rezensenten ein Ereignis beurteilten bzw. wie diese ihre Leserschaft in eine bestimmte Richtung beeinflussen wollten. Gerade durch eine Gegenüberstellung jener gegensätzlichen Positionen erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, abschätzen zu können, wie die unmittelbare Publikumsreaktion tatsächlich gewesen sein mag.