In der Wiener Musikszene des späten 19. Jahrhunderts waren Rezensenten oft namhafte Persönlichkeiten. Einige von ihnen, wie Hans Paumgartner oder Camillo Horn, waren sogar selbst als Künstler und/oder Komponisten aktiv. Sie wussten daher aus eigener Erfahrung, wie vernichtend ein negatives Urteil der Presse sein konnte, oder umgekehrt, welche Rolle eine positive Kritik für Erfolg und weitere Rezeption spielen konnte.
Kritiker zeichneten nicht immer mit ihrem vollen Namen, sondern verwendeten neben Pseudonymen vor allem Kürzel. Prominente Initialen wie „Ed. H.“ für Eduard Hanslick sind in der Forschung bekannt, andere Kürzel lassen sich heute nicht mehr (eindeutig) zuordnen. Zudem besteht etwa bei Hans Puchstein und Hans Paumgartner oder Rudolf Hirsch und Robert Hirschfeld Verwechslungsgefahr. Für eine eindeutige Identifizierung erwiesen sich neben einschlägiger Forschungsliteratur auch Carl Frommes „Notiz-Kalender für die Musikalische Welt“ als hilfreich, welche zwischen 1876 und 1902 jährlich erschienen sind und von Theodor Helm redigiert wurden. Hier sind die Kritiker des jeweils vergangenen Musikjahres mit vollem Namen gelistet, inklusive Angabe der Medien, für die sie tätig waren.
Im Folgenden finden Sie grundlegende Informationen zu den wichtigsten Rezensenten von Brahms’ Werken, die für Wiener Zeitungen und Zeitschriften tätig waren.
Musikhistoriker, Musikkritiker und Komponist. Neffe des Wiener Musikforschers Raphael Georg Kiesewetter. Juristische Studien. Als „Flamin“ Mitglied des von ihm mitgegründeten Prager „Davidsbundes“, dem auch Eduard Hanslick (als „Renatus“) angehörte. 1869 Professor für Musiktheorie an der Universität Prag, 1872 als Kunst- und Musikgeschichtelehrer Erzherzog Rudolfs Übersiedelung nach Wien, wo er auch am Konservatorium unterrichtete.
Musikschriftsteller und Komponist. 1850 Kompositionsunterricht bei Johann Rufinatscha, 1853–1868 als Musikschriftsteller für mehrere Zeitschriften in Österreich und Deutschland tätig, darunter 1856–1863 als Nachfolger seines Freundes Eduard Hanslick für die Wiener Zeitung. Als überzeugter Gegner der Neudeutschen propagierte er als einer der Ersten in Wien die Werke von Robert Schumann und Johannes Brahms. Ein näherer Kontakt mit Brahms ist zumindest für dessen frühe Wiener Jahre (1862 ff.) belegt.
Musikkritiker, Journalist und Schriftsteller, Vizepräsident des Journalisten- und Schriftstellervereines „Concordia“. Zunächst pädagogische Laufbahn in Prag, daneben Besuch der Orgelschule sowie erfolgreiche schriftstellerische Tätigkeit. Ab 1865 in Wien, wo er als Offizial in das administrative Revisionsamt der Kaiser Ferdinands-Nordbahn eintrat; dort wurde er Sekretär und Chef des Personalbureaus, bevor er 1873 den Eisenbahndienst verließ und sich ausschließlich der bis dahin nebenbei ausgeübten Journalistik widmete.
Musikschriftsteller, hauptberuflich Mittelschulprofessor an der Rainer’schen Realschule in Wien, im Ersten Weltkrieg zusätzliche Lehrstelle an den Horak’schen Musikschulen. Besonders eng ist sein Name als Musikkritiker mit der Reichspost verbunden. In einem Nachruf charakterisierte die Redaktion der Reichspost ihren verstorbenen Mitarbeiter mit den folgenden Worten:
Pianist, Dirigent, Musikschriftsteller. Studium an der Technischen Hochschule in Wien, Besuch der Vorlesungen Anton Bruckners. 1884 Bekanntschaft mit Franz Liszt, anfangs als dessen Klavierschüler, später auch als Sekretär bis zu Liszts Tod 1886. Anschließend in Wien u. a. als Musikkritiker tätig, mit besonderem Einsatz für das Werk Bruckners und Wagners. 1890 Leiter der Ramann’schen Musikschule in Nürnberg, 1896 Wechsel als Musikdirektor nach Linz, wo er das Linzer Musikleben wesentlich beeinflusste und förderte, u. a. als Leiter von Sängerbund und Frohsinn sowie als Veranstalter von Konzerten. Autor einer grundlegenden Bruckner-Biographie.
K. k. Hofrat und Journalist, konvertierte 1877 vom Judentum zum Katholizismus. Mitredakteur des Neuen Fremdenblattes, des Fremdenblattes und schließlich der Wiener Zeitung, bei der er zugleich das Musikreferat in der Wiener Abendpost führte. 1889 wurde er Vorstand des Telegraphen-Correspondenz-Bureaus und war auch Herausgeber der Politischen Correspondenz.
Musikästhetiker, Musikkritiker, „Meister des Feuilletons“ (Robert Hirschfeld über Hanslick in: Wiener Abendpost, 11. August 1904, S. [1]). Ab 1843 Klavier-, Theorie- und Kompositionsunterricht bei Wenzel Johann Tomaschek, ab 1844 Jusstudium in Prag bzw. ab 1846 in Wien. Promotion 1849, danach Beamter, u. a. am Kultusministerium in Wien.
Journalist, Redakteur, Dichter und Komponist. Hirsch studierte Philosophie und Jus, wirkte ab 1843 im österreichischen Staatsdienst. 1850 Übersiedlung nach Wien. Ab 1852 als Hofkonzipist der k. k. obersten Polizeihofstelle und Leiter der Amtsbibliothek tätig, 1861–1870 als Ministerialsekretär. Nebenbei Beschäftigung mit Poesie (besonders erfolgreich: Irrgarten der Liebe, Wien 1850) und Musik (er vertonte ca. 100 Lieder).
Musikpädagoge und Musikkritiker. Sohn eines Rabbiners, studierte neben Rechtswissenschaft auch Musikwissenschaft (bei Eduard Hanslick), Promotion zum Doktor der Philosophie 1883 mit der Arbeit „Johan de Muris und seine Werke“. Ab 1882 Lehrer für Musikästhetik am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde, ab den späten 1880er Jahren Musikkritiker, u. a. für die Wiener Sonn- und Montagszeitung, Die Neue Freie Presse und die Wiener Allgemeine Zeitung sowie Korrespondent für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. 1894 vom Judentum zur Evangelischen Kirche konvertiert; verheiratet mit der Opernsängerin Emma (Emmy) Karlona. Von besonderer Bedeutung sind Hirschfelds Kritiken für die Wiener Abendpost (er gehörte als Musikreferent der Wiener Zeitung von 1896 bis 1913 an) und als Theaterreferent beim Neuen Wiener Tagblatt (bis 1913). Pseudonym: L. A. Terne.
Komponist, Musiker, Musikkritiker. Harfestudium am Prager Konservatorium, dreijähriger Militärdienst im Infanterie-Regiment 34 in Wien, Privatschüler Anton Bruckners. 1885 Staatsprüfung für Musik, danach Chorleiter, Dirigent und Gesangslehrer in Wien, u. a. Leiter des Musikvereins „Haydn“, wo er sich für Wagner, Liszt und Bruckner einsetzte. Gesangslehrer am Wiener Piaristengymnasium, 1910–1916 am Neuen Wiener Konservatorium, 1916–1931 Professor für Harmonielehre an der Wiener Akademie für Musik und darstellende Kunst. Starke deutschnationale Ansichten, auch in seiner eigenen Vokalmusik, die von Wagner und Bruckner beeinflusst wurde.
Musikschriftsteller, Musikkritiker und Übersetzer. 1861 Sängerknabe in Breslau unter Leopold Damrosch. Nach einem abgebrochenen Studium der Rechtswissenschaften besuchte er 1873–1874 die Münchener Musikschule, wo er u. a. bei Joseph Rheinberger Komposition studierte. 1880 Übersiedelung nach Wien, wo er auf Empfehlung Hanslicks für verschiedene Zeitungen schrieb: bis 1883 als Musikreferent für die Wiener Allgemeine Zeitung, 1883–1890 für Die Presse, 1890–1895 für die Montags-Revue sowie ab Ende 1895 für das Neue Wiener Tagblatt, bei dem er bereits seit 1886 als Theaterrezensent tätig war.
Journalist und Schriftsteller. Sohn eines Rabbiners, ab 1853 Studium in Wien und ab 1854 in Prag am Polytechnikum (Mathematik, Physik und später deutsche Sprache und Literatur). Studienabbruch, Arbeit 1858–1859 als Lehrer an der israelitischen Schule in Pécs, ab 1859 Tätigkeit als Journalist und Schriftsteller in Wien, u. a. für die Allgemeine Zeitung des Judentums und das Wiener Jahrbuch für Israeliten. Langjähriges Mitglied des Journalisten- und Schriftstellervereins „Concordia“.
Pianist, Komponist, Musikschriftsteller. Bis 1880 als Jurist tätig. Nach einem erfolgreichen Debüt als Pianist unter Felix Mottl im November 1879 widmete er sich ganz der Musik, u. a. als Sologesang-Korrepetitor an der Wiener Hofoper; als Kammermusiker war er ebenfalls geschätzt. Ab 1880 Musikreferent der Wiener Zeitung.
Studium der Germanistik an der Universität Wien, Besuch der Vorlesungen Anton Bruckners. Er widmete sich der Journalistik und trat gemäß dem Kärntner Tagblatt, 02.02.1937, S. 4, 1890 als Schriftleiter bei der neugegründeten Wiener Tageszeitung Deutsches Volksblatt ein (sogenanntes „Vergani-Blatt“, genannt nach dem Herausgeber Ernst Vergani), dessen redaktionelle Leitung Puchstein für einige Zeit übernahm.
Musikkritiker und Musikschriftsteller. Sohn eines Pastors, Unterricht in Klavier, Orgel und Harmonielehre. Studienabschluss in Theologie, zeitgleich Kompositionsunterricht bei Adolph Bernhard Marx. Er verließ Deutschland aufgrund der politischen Unruhen 1848, lebte bis 1856 als Erzieher bei adeligen Familien in Russland und widmete sich danach musikgeschichtlichen Studien (insbesondere über die Sixtinische Kapelle) in Paris, verschiedenen italienischen Städten und München.
Musiker, Gewerkschafter, Chorsänger im Theater an der Wien. Musikstudium am Konservatorium der Stadt Wien, 1865 Hornist am Burgtheater. Auch als Komponist erfolgreich; besondere Popularität erreichte sein 1868 uraufgeführtes „Lied der Arbeit“. 1878 Gründung und Leitung des Arbeiter-Sängerbundes Wien. 1890 Mitbegründer und Chorleiter der „Freien Typographie“. Da er auch Frauen die Mitwirkung ermöglichte, schuf er damit den ersten gemischten Arbeiterchor. 1872 Gründung des „Wiener Musikerbunds“, der ersten Interessenvertretung für Musiker, dessen behördliche Auflösung bereits 1873 erfolgte. Wegen seiner gewerkschaftlichen und politischen Tätigkeiten wurde er 1881 vom Burgtheater zwangspensioniert und von der Polizei verhaftet.